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Freitag, 30. September: Melsungen - Amiens - Dreux Ihr Lieben, ich sitze mal wieder mit dem Netbook auf dem Schoß in Frankreich. Das Zustandekommen war ein wenig anders als letztes Jahr, aber ich sitze jetzt genau dort, wo ich 2010 die letzten Zeilen auf französischem Boden geschrieben habe, in Vernouillet bei Guillaume. Was geschah? Melsungen ist dieses Jahr seit 45 Jahren mit Dreux verschwistert. Die Jubiläen, die auf 5 enden, werden immer in Dreux gefeiert, so wie vor 20 Jahren bei meinem ersten Schüleraustausch. Der Partnerschaftsverein hat eine Jedermannfahrt angeboten, ich bin aber heute Morgen in mein eigenes Auto gestiegen. Ich habe zwei Wochen frei, das möchte ich nutzen. Es ging früh los, da ich den Tag nicht nur auf der Piste verbringen wollte. In Amiens in Nordfrankreich habe ich einen Zwischenstopp eingelegt. Die Picardie kannte ich bisher nicht, was lag also näher, als ihre Kapitale zu besichtigen. Der Weg dahin war angenehm und abwechslungsreich. In Deutschland waren alle Autobahnen frei; auf der A 1 war sogar weniger Verkehr als auf der A 44 – wo ich zwischenzeitlich bei Soest die Jedermannfahrer überholt habe. Über Belgien habe ich schon letztes Jahr ein paar Worte verloren. Alle Belgier, die ich bisher kennengelernt habe, waren mir immer sympathisch. Leider ist es den Belgiern nicht gegeben ordentliche Autobahnen zu bauen und einigermaßen vernünftig ihre Autos von A nach B zu bewegen. Auf der 200 km langen Rüttelpiste, und ich bin wieder großen Löchern ausgewichen, haben mir beide Beine und der Rücken wehgetan. Wie erholsam war dagegen die Fahrt durch Frankreichs Norden. In Amiens angekommen, stillte ich erstmal meinen Hunger, bevor ich zur Stadtbesichtigung aufbrach. Alte und moderne Gebäude stehen einträchtig nebeneinander. Die modernen Gebäude sind eine Folge der Zerstörungen des 2. Weltkriegs; die heutige Innenstadt ist von vielen Fußgängerzonen geprägt. Insgesamt hatte ich durch die Architektur eher das Gefühl in den Niederlanden zu sein als in Frankreich. An den typischen Merkmalen wie ein opulent geschmücktes Rathaus, ein Ehrenmal für in den Weltkriegen gefallene Soldaten, Marschallsstatuen erkennt man aber durchaus die französische Stadt. Die Hauptattraktionen sind das Jules-Verne-Haus, für das mein Zeitplan keine Zeit ließ (alle Melsunger wurden um 17:30 Uhr in Dreux erwartet), und die Kathedrale. Aufgrund der Witterung (28 °C im Herbst) hatte ich mein Kathedralenprogramm schon reduziert. Bei der Hitze musste keine Turmbesteigung auf über 60 m Höhe sein. Letzten Endes bin ich hinein, habe die Kühle genossen und bin schnell wieder raus. Diese Missachtung durch mich hat dieses herrliche Bauwerk, die größte Kirche Frankreichs, wahrlich nicht verdient, zumal sie durch eine reichhaltige Architektur beeindruckt und eine der französischen Welterbestätten ist. Scheinbar hatten sich heute alle Kindergärten und Grundschulen dort verabredet. Die Kinder plapperten durcheinander. Von der Stille, die ich in Kathedralen gern auf mich wirken lasse, war nichts zu spüren. Und immer wieder kam ein Kind meinen Füßen gefährlich nah. Auffallend ist die Höhe des Kirchenschiffs, welches das höchste aus gotischer Zeit in Frankreich ist. Wie klein andere große Kirchen dagegen wirken. Ich zog mich dann ans Wasser zurück. Das Tal der Somme ist durch ehemalige Flussarme und Kanäle geprägt. Zunächst kam ich ins mit Kanälen durchzogene Viertel St. Leu. Einst war es Wohnquartier der armen Bevölkerung. Heute ist es ein Szeneviertel mit vielen Kneipen am Ufer der Somme, und auch Universitätsgebäude habe ich gesehen. Der weitere Weg führte mich in einen großen Park, in dem ich gern noch länger verweilt hätte. Im Vorfeld habe ich in Frankreich erleben gelesen, dass hier früher viele Kleingärten waren, von denen aus der Markt in St. Leu bestückt wurde. Nur noch wenige Gärten werden bewirtschaftet. Heute laden stattdessen große Rasenflächen zur Entspannung ein. Mir musste eine Parkbank genügen, bevor ich mich auf den Weg zur letzten Etappe machte. Das Bahnhofsviertel wird seit einigen Jahren umgestaltet. Der Vorplatz ist durch ein neues Dach geprägt, welches mich entfernt an Wilhelmshöhe erinnert. An einer Ecke steht das höchste Gebäude der Stadt, ein über 100 m hoher Turm, den ich bei der Anfahrt schon von Weitem sehen konnte. Direkt anschließend ging ich zum Auto, um schnellstens nach Dreux zu kommen. Von Emmanuel hatte ich zwischenzeitlich gehört, dass der Bus auf der französischen A 1 weit vor Paris unterwegs war. Dementsprechend hatte ich alle Zeit der Welt, hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht – in diesem Fall ein kleines unschuldiges Navi. Kennt ihr das eigentlich auch? Ihr wisst anhand der Ortsschilder genau, wo ihr seid, ihr wisst aber nicht, wieso ihr dort seid. Meine Erwartung war, kurz vor Paris Richtung Westen geleitet zu werden und die Hauptstadt über die Vororte zu umfahren. Die grobe Richtung stimmte, die angezeigten Autobahnnummern auch, doch mit einem Mal war ich am Seine-Ufer. Ich muss morgen doch mal schauen, ob die Routenberechnung auf den kürzesten Weg eingestellt ist. Anders lässt sich diese Wahl nicht erklären – oder das angepeilte Stück Schnellstraße ist im Kartenmaterial nicht vorhanden. So fuhr ich also am Ufer durch Städte, die ich bisher nur von der Eisenbahnperspektive aus kannte. Jetzt also auch mit dem Auto. Ich konnte die Architektur in Courbevoie, La Défense oder Rueil-Malmaison wahrlich genießen – 5 km in einer Stunde ließen viel Zeit sich umzuschauen. Irgendwann war ich dann endlich am mir wohlbekannten Verkehrsknoten von St. Cloud und kurz danach wieder auf der Autobahn. Ein Anruf bei Emmanuel – in der Hinsicht bin ich jetzt schon recht teuer unterwegs – und ich wusste, ich konnte mir Zeit lassen. Während ich Zeit im Berufsverkehr vertrödelt habe, hat der Bus aus unerfindlichen Gründen Paris im Osten umfahren. Sie hätten vor mir sein müssen, waren aber weit hinter mir. So kam ich um halb acht als erster Melsunger (wenn man die Schüleraustausch-Teilnehmer außen vor lässt) in Dreux an. Dort wartete man bereits seit zwei Stunden. Eine halbe Stunde nach mir waren Goujards da, der Bus wiederum eine Stunde später, nach über 14 Stunden ohne Klimaanlage. Mit Guillaume habe ich heute Abend nahtlos an die Gespräche vom letzten Jahr anschließen können. Uns hat sich der Eindruck aufgezwungen, dass sich in der Politik jeder Unsinn fast jährlich wiederholt, in beiden Ländern. Ich sollte noch erwähnen, dass wir extrem günstig gegessen haben. Ein riesiger Burger, eine großen Portion Fritten und eine Cola für nur fünf Euro, das gibt es bei uns nicht. |
Erstellt am: 30.10.2011
Letzte Änderung: 31.12.2011 |
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