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Mittwoch, 05. Oktober: Caen - Bayeux - Arromanches-les-Bains Bald ist es geschafft. So langsam spüre ich die ersten Müdigkeitserscheinungen. Den Wecker habe ich heute Morgen erstmal eine halbe Stunde nach hinten verstellt. Ebenfalls heute Morgen ist mir der erste Fehler dieser Reise unterlaufen. Ich habe meinen Augen getraut und nicht meinem Instinkt. So kam es, dass ich die Jacke aus dem Kofferraum geholt habe, bevor ich in die Stadt ging. Es standen in Caen Einkaufen und Stadtbesichtigung auf dem Plan. Ihr fragt euch sicher: Wo liegt Caen und wieso ist der Kerl ausgerechnet dort? Caen ist die historische Hauptstadt des Herzogtums Normandie, die aktuelle Hauptstadt sowohl des Departements Calvados als auch der Region Basse Normandie (Niedere Normandie). Diese Bezeichnung hat keinerlei Verbindung mit der Geografie, im Gegenteil, die gesamte Region ist sehr hügelig, wir sind hier nicht weit von der normannischen Schweiz entfernt, sie liegt einfach weiter von Paris entfernt als die Haute Normandie (Obere Normandie) um Rouen. Caen ist eine alte Stadt. Das Schloss, dessen Ruinen ich heute besichtigt habe, gehörte einst Wilhelm dem Eroberer. Caen ist eine junge Stadt. Die Angaben der Reiseführer gehen weit auseinander, aber zu den rund 130.000 Einwohnern zählen gut 25.000 Studenten. Das habe ich besonders bei meinen beiden abendlichen Spaziergängen gestern und heute erlebt. Auf zwei, drei Straßen verteilt pulsiert das Nachtleben. Erst dachte ich, ich wäre in eine nächtliche Demo geraten, dann zeigte sich, Hunderte junger Menschen warteten vor ein und derselben Kneipe. Leider ist im letzten Krieg viel vom alten Caen zerstört worden. Caen war für die Alliierten die Stadt, die es zuerst zu erobern galt, denn sie ist von Alters her ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. So kommt es, dass historische Gebäude nur noch an wenigen Stellen zu finden sind. Mir sind nur ein paar verwinkelte Straßenzüge nahe dem Schloss sowie die Kneipenmeile aufgefallen. Dazwischen stehen viele moderne Gebäude, wie sie für die Nachkriegszeit so typisch sind. Caen hat eine bemerkenswerte Tram: Sie hat eine Führungsschiene, Stromabnehmer und fährt ansonsten auf Gummirädern. Eine interessante Technik. Zurück zu den aktuellen Ereignissen. Als ich die Einkäufe zum Auto brachte, entledigte ich mich der Jacke, bevor es zum Schloss ging. Die imposanten Mauern sind erhalten geblieben, viele Gebäude auf dem Gelände fielen dem Zahn der Zeit zum Opfer. Heute findet man dort das Museum der Normandie in neu errichteten Gebäuden. Dies ersparte ich mir allerdings, denn eigentlich wollte ich ja Richtung Meer. Bayeux war die erste Zwischenstation. Hauptattraktion in Bayeux ist ganz sicher der berühmte Wandteppich (Tapisserie), auf dem die Geschichte der Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer dargestellt ist. Die Vorgeschichte, der Verlauf und die Folgen der Schlacht von Hastings im Oktober 1066 sind hier dargestellt, als der normannische Herzog Wilhelm die Sachsen besiegte und König von England wurde, fortan nannte man ihn Wilhelm den Eroberer. Bereits kurz nach diesen Ereignissen wurde der Teppich in mühevoller Handarbeit, man kann alte Stickereitechniken nachvollziehen, gefertigt. Insgesamt ist er gut 70 m lang und aus einem Stück. Im Mittelalter wurde er alljährlich in der Kathedrale ausgestellt, damit das Volk sich der Geschichte erinnerte. Später geriet er in Vergessenheit und wurde erst im 18. (oder 19.?) Jahrhundert wieder hervorgeholt. Heute befindet er sich in einem abgedunkelten Raum, mit einem Audioführer kann man sich Beschreibungen zu jeder einzelnen Szene anhören. Nach dieser Besichtigung und einer Rast in einem gemütlichen Lokal unter freiem Himmel (allerdings auf Kunstrasen) habe ich mir noch die Innenstadt und die Kathedrale angesehen. Der Weg zu den touristisch interessanten Punkten ist, das kenne ich von der letzten Reise aus Auray, mit in den Boden eingelassenen Messingplaketten markiert. Nach diesem Rundweg habe ich einen geschichtsträchtigen Ort aufgesucht: Es ist ein Platz mitten in der Stadt, wo Charles de Gaulle seine erste Rede auf französischem Boden nach der Eroberung der Normandie gehalten hat. Bayeux trug übrigens nur wenige Kriegsschäden davon und wurde nicht Opfer von Bombenangriffen. In Bayeux gibt es am Stadtrand zwei bedeutende Gedenkstätten. Zum einen handelt es sich um eine englische Kriegsgräberstätte (auch Deutsche fanden hier ihre letzte Ruhe). Erneut wurde mir bewusst, welche Schicksale hinter all diesen Toten stehen und welches Glück wir haben in der heutigen Zeit zu leben. Auch hier standen mir wieder die Tränen in den Augen, besonders am Grab eines jungen Deutschen, der gut einen Monat nach der Invasion an seinem Geburtstag sein Leben ließ. Es war der 20. Juli 1944, ein gewisser anderer Mensch hätte an diesem Tag sterben und Georg Brendl hätte leben sollen. Die zweite Gedenkstätte ist allen Journalisten gewidmet, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Kriegen ums Leben kamen. Die Toten eines jeden Jahres sind auf Stelen verewigt. Für die Jahre 2006, 2007 und 2009 reichte jeweils eine Seite einer Stele nicht aus. Die Welt ist nicht friedlicher geworden. Danach ging es noch nach Arromanches (Gold Beach), wo nach dem längsten Tag von den Briten ein künstlicher Hafen angelegt wurde, über den in gut 100 Tagen all das Material an Frankreichs Küste angelandet wurde, das dazu benötigt wurde, Deutschland zu besiegen. Viel ist darüber geschrieben worden, ich muss daher nicht so viele Worte verlieren. In Arromanches kann man die Reste dieser großartigen Ingenieursleistung noch im Wasser sehen und bei Ebbe teilweise zu Fuß hingehen. Leider war gerade Flut. Direkt am Strand steht ein Museum, das die Eroberung des Küstenabschnitts und den Bau des Hafens eindrucksvoll darstellt. Dazu kann man sich einen Film mit historischen Aufnahmen der Briten ansehen. Oben auf den Klippen steht noch ein 360-Grad-Kino, das aber heute schon geschlossen hatte. Ich genoss noch ein wenig den Rundblick und kehrte schließlich nach Caen zurück, wo ich nach dem Abendessen erneut bei frühlingshaften Temperaturen spazierenging. |
Erstellt am: 30.10.2011
Letzte Änderung: 31.12.2011 |
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